13. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus - textlinguistische Analyse - 2. Teil
(Fortsetzung des 1. Teils)
Kohärenz
Unter dem Terminus Kohärenz versteht man die grammatische Verbindungen, die Beziehungen unter der Wörtern in der Tiefstruktur. Hier kommt die syntaktische Theorie zum Wort (sei es Dependenz-, Valenz- oder Phrasensyntax), die diathetische Beziehungen (Agens-Patiens) u.a.
Einige Autoren (z.B. HALLIDAY/HASSAN 1976) verstehen Kohärenz als einTeil der Kohäsion.
Beispiel aus dem Text (mit Benutzung der Grundteilung der Phrasensyntax):
25 Während nun die Leute (NP) schliefen (VP), kam (VP) sein Feind (NP), säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg (VP).
Legende
NP – Nominalphrase
VP – Verbalphrase
Diathethische Beziehungen
Agens: Leute, Feind
Patiens: Unkraut
Thema-Rhema-Analyse
Die Thema-Rhema-Gliederung (tsch. aktuální členění větné) oder auch funkční větná perspektiva (Funktionssatzperspektiv, Kürzel FSP aus engl. functional sentence perspective) ist eine Konzeption, die in dem Prager linguistischen Kreis von Vilém Mathesius (1929) entwickelt und später von František Daneš und Anderen weitergeführt wurde. In der sog. Brünner Schule hat in den 50er Jahren Jan Firbas eine eigene Konzeption (die eher unter der Bezeichnung funkční větná perspektiva bekannt ist) entwickelt.[1]
Die Thema-Rhema-Struktur ist eine sprachliche Universalie; wird vor allem durch Wortstelung und Intonation (oder andere sprachspezifische Mittel) signalisiert.[2]
Die Entwicklung des Texthemas im Text (nach DANEŠ 1976)
DANEŠ (1970, 1978) bezeichnet „den Komplex von thematischen Relationen im Text“ als thematische Progression (TP) und bietet fünf ihre Anordnungsmöglichkeiten:
- lineare thematische Progression
- Progression mit durchlaufendem Thema
- Progression mit abgeleitetem Thema
- Entwicklung eines gespalteten Rhemas
- Progression mit thematischem Sprung.
VATER gibt (kurz) alle fünf an, HEINEMANN/VIEHWEGER nur die ersten drei (als Haupttypen), mit der Bemerkung, dass die andere zwei kann man vernachlässigen, „da sie als Varianten von (1) und (2) interpretierbar sind“.[3]
Das eigene Gleichnis vom Sämann (V. 3b-8) kann man so in zwei Teile gliedern:
I.
Ein Sämann (T1) ging aufs Feld, um zu säen (R1).
4 Als er (T2) säte (bis jetzt eine lineare Progression (R1=T2)),
II.
fiel ein Teil der Körner (T3) auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen sie (R3).
5 Ein anderer Teil (T4) fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war (R5);
6 als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte.
7 Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat.
8 Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach.
Der Rest des Textes (Teil II) ist ein Beispiel der Progression mit einem gespalteten Rhema: Das Rhema ist das Säen (R1), die im ersten Satzgefüge verbal ausgedrückt (säen = die Saat verteilen, verstreuen) ist. Das Thema des zweiten Satzgefüges (T2) ist schon die Saat, das heißt, dass es hier zu einem kleinem rhematisch-thematischen Sprung gekommen ist (A. Svoboda und M. Nekula es in ESČ nennen „ein deriviertes Rhema“[4]). Eine andere Variante ist, den zweiten Teil des Textes als eine Progression mit abgeleiteten Themen festzusetzen. Alle Rhemen des Teils II. haben ein gemeinsames „Hyperthema (Makrothema)“, das man wohl „Hyperrhema (Makrorhema)“ nennen konnte.
Intentionalität
Die Intentionalität drückt den Absicht, Plan oder Zeil des Textproduzenten aus. Im religiösen Sinne war wohl die Intention die Bekehrung der Hörer und Leser (Rezipienten) und ihre Erlösung, allgemeiner gesagt die Änderung ihrer Denkart. Es ist also ein Text mit perlokutiven Aspirationen.
Akzeptabilität
Die Akzeptabilität ist, genauso wie Intentionalität, ein Terminus der Sprechakttheorie. Ebenso wie bei der Intentionalität bestreitet VATER auch bei der Akzeptabilität, dass sie ein Textualität-bildendes Merkmal sein sollte.[5]
Sie bezieht sich auf die Angemessenheit der Mitteilung für den Rezipienten (was den Still, die benutzen Sprachmittel berifft).
Unser Text ist geschrieben mit einer einfacher Sprache (keine sowohl für damalige Hörer als auch für heutige Leser, mindestens für Gläubige) unbekannte Wörter, komplizierte Satzstrukturen, keine Bombastik oder Schwulst. Der Text ist (mit einem nötigen Vorverstehen) formal und auch inhaltlich allgemein gut akzeptabel (verständlich).
Informativität
Die Informativität bezeichnet den Maß der (für den Rezipienten unerwarteten bzw. neuen) Informationen, die ein Text enthält (= die Informationshaltigkeit). „Die Verarbeitung hochinformativer Texte ist anstrengender, aber auch reizvoller, als die von Texten mit geringer Informativität.“ Eine hohe Informativität behalten besonders Texte, die eine Pointe haben, und allgemein alle überraschende oder spannende Texte, wie z.B. Witze, Metapher, Anspielung, Ironie.[6]
Die Forschung der Informativität eines Textes hat wohl mehr bei den modernen Texten seinen Platz, besonders bei den, die offenbar eine appelative funktion haben, in erster Linie im Marketing und in der Werbung. Die Parabel kann man (im weiteren Sinne) als ein Metapher verstehen: es werden neue Geschichte erzählt, die die Zuhörer noch nicht kennen, ihrer Informativität ist deswegen groß (senkt mit der stereotypen Wiederholung, wie in der in Beschreibung des Schicksals einzelner Teile der Saat in 5.7.8 oder der Wiederholung hören, sehen, nicht hören und nicht sehen in 15 und 16). Noch höher ist wohl die Informativität der Deutungen der Gleichnisse, da hier sich zwar wieder eine „Geschichte“ anspielt (ein Text mit einer thematischen Nachfolge), die aber dazu die ursprüngliche Geschichte erleuchtet und damit ihr Ausklingen und also potenziell teilweise auch ihre Bedeutung ändert.
Situationalität
Unter der Situationalität (oder auch Situationskontext, engl. context of situation) versteht man die mit dem Text zusammenhände Geschehen und Umgebungsfaktoren, besonders sozialen, die auf den Text bestimmten Einfluss haben (hatten). Der Ausdruck ist, im Grunde genommen, mit den Ausdrücken Kontext, Kotext oder Situation synonym.[7]
Wenn wir nicht in das Forschungfeld der Biblistik zufallen wollen, können wir rein textlinguistisch gesehen zu der Situationalität dieses Textes fast nichts sagen. Man kann wohl nur ahnen, weil es ein religiöser Text ist, dass es um einen Text, der vor allem für die Gläubiger einer Religion (in diesem Fall des Christentums) festgelegt ist.
Entstehung der Struktur des (finalen) Textes
Die Überschrifte der einzelnen Mikrotexte sind nicht originell, sondern von der Redaktion hingefügt (z.B. Das Gleichnis vom Sämann, Sinn und Zweck der Gleichnisse); einige, v.a. evangelische Fassungen enthalten sie nicht (vgl. z.B. Bible kralická).
Ebenso ist die Teilung in Versen und Kapitel nicht ursprünglich (wie in der ganzen Bibel): Die Teilung in Kapiteln stammt von dem englischen Bischof E. Langton aus dem 13. Jahrhundert., die Teilung in Versen von dem französischen Buchdrucker R. Estienne aus dem 16. Jh.[8]
Intertextualität
Die Intertextualität bedeutet die Beziehungen eines Textes zu einem anderen Text, bzw. auch zu der außertextlichen Realität.
Von den sieben Gleichnisse, die Matthäus in der 13. Kapitel seines Evangeliums aufführt, findet man drei auch bei Lukas (über dem Sämann (8. Kap.), Senfkorn und Sauerteig (13. Kap.)), davon zwei auch bei Markus (über dem Sämann und Senfkorn, 4. Kap.); die anderen vier führt nur Matthäus auf.
Da die europäische Kultur und Geschichte mit dem Christentum mehr als mit was immer anderes beinflusst sind, und Bibel „das Grundbuch“ des Christentums ist, hat sie wohl mehr als ein beliebig anderes Buch andere Bücher der euro-amerikanischen Kultur beinflusst.[9]
Pretexte
Trotz des Alters unseren Textes (abgefasst wohl um die Jahre 80-90 n. Chr.[10] [11]) findet man auch in ihm intertextuelle Beziehungen: Jesus paraphrasiert oder sogar zitiert die bezogene Texte des Alten Testaments: Mt 13,14b-15 ist eine Paraphrase von Jes 6,9-10 und Mt 13, 35 ist eine Paraphrase des Ps 78,2.
Textvergleich
1) Jes 6,9-10: „9 Da sagte er: Geh und sag diesem Volk: / Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. / Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen.
10 Verhärte das Herz dieses Volkes,[12] / verstopf ihm die Ohren, / verkleb ihm die Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht / und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt / und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird.“
15 Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden[13] / und mit ihren Ohren hören sie nur schwer / und ihre Augen halten sie geschlossen, / damit sie mit ihren Augen nicht sehen / und mit ihren Ohren nicht hören, / damit sie mit ihrem Herzen / nicht zur Einsicht kommen, / damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile.“
Ein Satz aus dieser Aussage ist ein ganaues Zitat (Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. / Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen), der Rest eine Paraphrase.
Der Sinn beider Versionen ist gleich, nur ist mit anderen lexikalischen und metaphorischen Mitteln geäußert. Der markanteste Unterschied ist wohl die Benutzung eines anderen Methaphers:
2) Ps 78,2: „2 Ich öffne meinen Mund zu einem Spruch; / ich will die Geheimnisse der Vorzeit verkünden.“
Diese Stelle wird in der Buchausgabe der Eiheitsübersetung auch in Kursive gedruckt (und so als ein Zitat bezeichnet), was nicht immer der Fall ist (z.B. in ČEP).
Nach DOUGLAS (125) gibt es im Neuen Testament etwa 250 wortgetreuen und mehr als 1000 indirekten alttestamentlichen Zitationen.
Weltwissen-Forderungen
Prophet – allgemein jeder, der den Willen Gottes verkündigt; die alttestamentliche prophetische Bücher teilt die Biblistik in 4 sog. Großen und 12 sog. Kleinen Propheten (= prophetischen Büchern)[14]
Gerechter – jemand, der „im Frieden mit Gott“ lebt
Aus dem Text stammende Phraseologismen
Die Spreu vom Weizen sondern (scheiden)[15]
Die Spreu/Die Unkraut unter dem Weizen, die Spree unter dem Weizen trennen[16]
Das Unkraut vor dem Weizen abschneiden[17]
Den Weizen mit dem Unkraute ausjäten
Ukraut unter den Weizen säen[18]
Der Prophet im eigenen Land ist nichts wert; Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland[19]
Résumé
This work concerns with the 13th chapter of the Gospel of Matthew from the text-linguistical point of view. It is shown the relativeness of the meaning of textual macro- and microstructure and a scheme of the intra-text-relations is offered. The macrotext of the 13. chapter consists of 3 microtexts, wheras only one of them, the proper text of the gospel (T1) is analyzed.
The text is analysed with focus on the seven textuality criteria along BEAUGRANDE/DRESSLER 1981 (according to H. VATER), and some others (isotopy as such, grammatical tense and topic-comment-these (theme-rheme, functional sentense perspective)), wheras the cardinal accent is put on the text cohesion. Every criterion is explicated and is given its example from the text, in common with characteristics of the gospel in context of the Bible (and of diatessara). There is defined parable as an essential building stone of the text and an example of a quasisubstitution is given.
We wanted to show that although there is not much to say to some of the criteria in case of the Bible, such as intentionality and situationality, it is possible to implement a text-analysis on this text in spite of that. There is not much known about the author together with the time context of the text origin. Bible as such features a special case of text, because it is a "library" sui generis. From the text comming German phraseology is mentioned.
Literatur
ALLMEN von, Jean-Jaques, et all.: Biblický slovník. Praha : Kalich 1991.
Bible kralická (nach der letzten Ausgabe aus 1613). Erreichbar online: http://www.etf.cuni.cz/~rovnanim/bible/k/Mt13.php
ČEP: Bible : Písmo svaté Starého i Nového zákona. Ekumenický překlad. Praha : Česká katolická charita 1987.
DOUGLAS, J. D., a kol.: Nový biblický slovník. Praha : Návrat domů 2009. 2. Ausg.
Encyklopedický slovník češtiny. Praha : NLN 2002.
HAUSENDORF, Haiko, KESSELHEIM, Wolfgang: Textlinguistik fürs Examen. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 2008.
HEINEMANN, Wolfgang, VIEHWEGER, Dieter: Textlinguistik : eine Einführung. Tübingen : Niemeyer 1991.
KLUGE, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin ; New York : de Gruyter 2002. 24. Aufgabe.
LEMAÎTRE, Nicole, u. A. Slovník křesťanské kultury. Praha : Garamond, 2002. LEWANDOWSKI, Theodor: Linguistisches Wörterbuch 2. Heidelberg; Wiesbaden : Quelle u. Meyer 1990.
Metzler Lexikon Sprache. Hrsg. von Helmut Glück. Stuttgart : J.B. Metzler 1993.
Neue Jerusalemer Bibel: Einheitsübersetzung. Mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Freiburg im Breisgau : Herder Verlag 1985.
NOVOTNÝ, Adolf: Biblický slovník. Praha : Kalich 1992.
OUŘEDNÍK, Patrik : Aniž jest co nového pod sluncem. Praha : Mladá fronta 1994.
PATOČKA, JAN: Česká vzdělanost v Evropě. Praha : Václav Petr 1939.
PSJČ: Příruční slovník jazyka českého. Erreichbar online über http://deb.fi.muni.cz/debdict/index.php
Reclaims Bibellexikon. Stuttgart : Reclaim 2000.
RÖHRICH, Lutz: Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 3 Bände. Freiburg i. B. : Herder 1992.
SČFI: Slovník české frazeologie a idiomatiky: výrazy neslovesné a výrazy neslovesné. Erreichbar online über http://deb.fi.muni.cz/debdict/index.php
SSČ: Slovník spisovné češtiny. Erreichbar online über http://deb.fi.muni.cz/debdict/index.php
SSJČ: Slovník spisovného jazyka českého. Erreichbar online über http://deb.fi.muni.cz/debdict/index.php
VATER, Heinz: Einführung in die Textlinguistik : Struktur, Thema und Referenz in Texten. München : Fink, 1994. 2., überarb. Auflage, Schriftenreihe: UTB.
WEINRICH, Harald: Textgrammatik der deutschen Sprache. Hildesheim : Georg Olsm Verlag 2003.
Internet
http://www.duden.de (Gesamtkatalog der Duden-Wörterbücher „Duden-Suche“)
Quelle
Die Bibel : Altes und Neues Testament; Einheitsübersetzung. [hrsg. im Auftr. der Bischöfe Deutschlands, Österreichs... Für die Psalmen und das Neue Testament auch im Auftr. des Rates der Evang. Kirche in Deutschland und des Evang. Bibelwerks in der Bundesrepublik Deutschland]. - Freiburg [u.a.] : Herder, 1991. Erreichbar online: http://alt.bibelwerk.de/bibel/
[1] ESČ, S. 32-34, 149-150
[2] LEWANDOWSKI 3, S. 1183
[3] VATER: 98-101, HEINEMANN/VIEHWEGER: 32-34 (Zitation: S. 33)
[4] ESČ, S. 323
[5] S. 53
[6] LEWANDOWSKI, Th.: Linguistisches Wörterbuch 2, S. 448 (mit Berufung auf BEAUGRANDE/DRESSLER u. A.)
[7] EHLICH, Konrad: Situationskontext. In: METZLER LEXIKON, S. 557
[8] LEMAÎTRE, Nicole, u. A. Slovník křesťanské kultury. Praha : Garamond, 2002. S. 61
[9] Vgl. Patočka, J.: Česká vzdělanost v Evropě. Praha: Václav Petr 1939.
[10] Neue Jerusalemer Bibel, S. 1374
[11] Reclaims Bibellexikon, S. 329
[12] ČEP: „srdce toho lidu obal tukem“
[13] ČEP: „neboť obrostlo tukem srdce tohoto lidu“
[14] vgl. DOUGLAS, S. 816-826
[15] RÖHRICH, B. 3, S. 1713
[16] tschechisch koukol mezi pšenicí, oddělit koukol od pšenice (SČFI), oddělit zrno od plev (Ouředník, 105)
[17] RÖHRICH, B. 3, S. 1661
[18] RÖHRICH, B. 3, S. 1661
[19] tschechisch doma není nikdo prorokem (PSJČ, SSJČ, SSČ; Ouředník, 165), auch nach Mk 6,4